Ford’s
Karosserieschneider (Teil 8) - Ghia in Turin
Giacinto
Ghia wurde am 18. September 1887 in Turin als dritter Sohn eines Buchhalters
geboren. Im Alter von dreizehn begann er seine erste Anstellung bei einem
Kutschenbauer und wie alle Jungen war er von den ersten Automobilen fasziniert.
Nach
einer kurzen Episode bei Rapid wechselte er als Testfahrer zu Diatto. Bei
einem recht harmlosen Unfall im Jahr 1915 brach er sich beide Beine. Obwohl
die Verletzung rasch verheilte konnte er seine alte Tätigkeit nicht
wieder aufnehmen. Er entschied sich zusammen mit seinem Partner Garaglio
für die Selbstständigkeit.
Die
Firma Ghia und Garaglio begann Karosserien für Diatto, Itala und Scat
zu bauen. Als sein Partner wechselte wurde der Betrieb in Carozzeria Ghia
und Actis umbenannt, doch 1926 verließ auch Actis das Unternehmen.
Giacinto’s Schwager Giorgio Alberti kam als Partner hinzu und blieb der
Carozzeria Ghia lange Jahre treu.
Bei
Rennen erlangten ihre leichten Aufbauten schnell Beachtung, besonders das
FIAT 501S Torpedo Modell. In den Zwanziger Jahren baute Ghia eine Vielzahl
von Wagen nach Entwürfen des Grafen Revelli de Beaumont.
Anfang
der Dreißiger Jahre fertigte Ghia die ersten Balilla Coppa d’Oro,
bevor FIAT die Montage selbst übernahm und größere Stückzahlen
vom Band laufen ließ. Aerodynamische Ansätze zeigten sich in
einigen spektakulären Entwürfen auf Basis der Lancia Augusta.
Daneben wurden Karosserien für Chrysler, Alfa und Isotta gebaut.
Die
Firma entwarf vor Kriegsausbruch viele Karossen für die oberen Zehntausend.
Dann musste auch Ghia auf Rüstungsbetrieb umstellen und lieferte nun
u.a. Fahrräder. 1944 wurden die Anlagen bei einem Luftangriff fast
vollständig zerstört. Giacinto erkrankte schwer und verstarb
kurz darauf. Wenig später verschieden auch seine Mutter und seine
Ehefrau.
Giorgio
Alberti behielt seine Anteile in der Firma, aber Giacinto hatte schon zuvor
Felice Boano als seinen Nachfolger bestimmt. Boano schloss daraufhin seinen
eigenen Betrieb und übernahm auf Einladung der Ghia Familie seinen
neuen Posten.
Die
neue Firma „Successori Ghia - Alberti e Boano“ hatte wie viele damals mit
den Schwierigkeiten in der Nachkriegszeit zu kämpfen. Der Betrieb
kam jedoch schnell wieder in Schwung und stellte schon 1947 auf dem Concours
d’Elegance in Monte Carlo aus. Im selben Jahr übernahm Boano auch
Alberti’s Firmen-Anteile und wurde somit alleiniger Eigentümer.
Zu
dieser Zeit riet Viotti, ein Freund von Boano, einen jungen Ingenieur namens
Luigi Segre einzustellen, um die kaufmännischen Aufgaben zu übernehmen.
Seine Berufung erwies sich als ein solch großer Erfolg, daß
Boano später erwog sich komplett aus der Firma zurückzuziehen
und 50% der Anteile seinem Sohn, 30% Segre und 20% einem weiteren Mitarbeiter
Luigi Sibille zu übergeben.
In
den späten 40er Jahren stellte Ghia die erfolgreiche Gioiello Reihe,
eine Sportlimousine auf FIAT 1100 bzw. Lancia Aprilia Basis, vor.
Zu
dieser Zeit gründete man einen Zweigbetrieb Ghia-Aigle zusammen mit
einem Schweizer Industriellen in der Schweizer Stadt Aigle. Ghia selbst
zog sich nach rund einem Jahr aus dem Jointventure zurück, die Firma
blieb aber weiter bestehen.
Wichtige
Entwürfe aus dieser Zeit waren die Lancia Aurelia, ursprünglich
bei Ghia gezeichnet und gebaut, bevor die Fertigung später auf Grund
der größeren Kapazitäten zu Pininfarina übersiedelte.
Auch der Alfa-Romeo Giulietta Sprint entstand damals in Zusammenarbeit
von Mario Boano und dem Chef-Designer von Bertone Scaglione. Weitere Modelle
waren Coupé und Cabriolet Versionen des FIAT 1900.
1950
beschlossen FIAT und Chrysler einen Deal: Chrysler sollte FIAT bei der
Produktionstechnik halfen, im Gegenzug knüpfte FIAT für Chrysler
Kontakte zu den Designern von Pinin Farina und Ghia.
Boanos’
Sohn Gian Paolo arbeitete bis 1951 überall mit, bis er mit den B-Junior
auf Basis des Alfa-Romeo 1900, FIAT 1400 und Lancia Aurelia Coupe seine
ersten eigenen Designs vorstellen durfte. Er spielte auch eine wichtige
Rolle beim bekannteren Alfa-Romeo 1900C Coupé, wo auch Design Elemente
aus der Zusammenarbeit mit Chrysler zu erkennen waren.
Nebenbei
entstanden in dieser Zeit Rolls-Royce, Ferrari und Abarth mit Ghia Karosserien.
Viel
bekannter wurde natürlich das VW Karmann-Ghia Coupé, von Ghia
entworfen und bei Karmann in Osnabrück gebaut. Von 1955 wurde es fast
unverändert bis 1974 gebaut, obwohl seitens Ghia vergeblich eine Vielzahl
von Nachfolger Vorschlägen gemacht wurden.
Alles
begann auf dem Genfer Autosalon im Frühjahr 1953, auf dem sich Wilhelm
Karmann, Geschäftsführer des gleichnamigen Karosseriewerks in
Osnabrück und Luigi Segre trafen. Karmann hatte bereits 1951 versucht,
den damaligen VW-Boß Heinrich Nordhoff zum Bau eines schnittigen
Wagens auf VW-Basis zu überreden. Von den Skizzen und Entwürfen
war Nordhoff jedoch nicht sonderlich angetan und so landete das Projekt
zunächst in der Schublade.
Wilhelm
Karmann klagte seinem italienischen Kollegen sein Leid und der versprach
sich um die Sache zu kümmern. Im Herbst 1953 präsentierte Segre
dann tatsächlich dem verblüfften Osnabrücker in der Garage
des französischen VW-Importeurs Ladouche in Paris einen Prototypen.
Karmann war beim Anblick des harmonisch gestalteten Coupés begeistert
und schaffte den Wagen unter strengster Geheimhaltung nach Osnabrück.
Im November 1953 begutachtete auch Heinrich Nordhoff den Prototypen in
Osnabrück. Obwohl auch ihm das schnittige Coupé auf Anhieb
gefiel, war er zunächst skeptisch, was die Produktionskosten anging.
Doch nachdem er die genauen Kalkulationen von Karmann gesehen hatte, war
auch er endgültig überzeugt. Noch am selben Tag wurde die Serienfertigung
des Karmann Ghia beschlossen!
1953 gab es an der
Spitze der Firma wichtige Veränderungen. Im Streit gingen Mario Boano
und Luigi Segre auseinander, der letztere erwarb nun alle Rechte. Die Boanos
arbeiteten daraufhin selbstständig weiter, bis sie das FIAT Centro
Stile gründeten und dort bis zur Pensionierung beschäftigt waren.
Segre ernannte Giovanni
Savonuzzi zum technischen Direktor.
1954 expandierte
man mit der Übernahme des kleinen Betriebs Monviso. Dieser war auf
Umbauten von Großserienfahrzeugen wie dem FIAT 600 spezialisiert.
Savonuzzi, der schon
zuvor für Ghia als Berater tätig war, begann mit den „Supersonic“
(Überschall) Entwürfen eine neue Linie in die Gestaltung. Basierend
auf dem FIAT Otto-Vu und anderen Chassis führten diesen Entwürfe
auch zu einer Studie für Chrysler, dem Ghia Adventurer II. Savonuzzi
war zuvor als Flugzeug Ingenieur tätig, dieses Wissen kam ihm bei
einer Vielzahl von aerodynamischen Entwürfen zu Gute.
Nach Entwürfen
von Lincoln-Mercury Stilisten baute Ghia 1955 den Futura. Nach der Präsentation
im New Yorker Central Park wurde der Wagen im Straßenverkehr bewegt.
Später baute ihn Customcar-Papst George Barris zum ersten „Batmobile“
um.
Zeitgleich war Ghia
auch für Mercedes, Jaguar und Armstrong-Siddeley aktiv und baute den
FIAT Jolly.
1956 stieß
ein weiterer junger Designer Sergio Sartorelli zu dem Team. Er arbeitet
nebenher für etabliertere Firmen wie Coggiola. Als Savonuzzi ein Jahr
später einen Posten bei Chrysler in den USA übernahm wurde der
Führungsposten wieder frei. Diesmal kaufte Ghia Frua und Pietro Frua
übernahm die vakante Stelle. Beide Firmen (Frua wurde weiterhin als
Markenzeichen von Ghia benutzt) zogen in neue Fertigungsstätten um,
aber die Beziehung hielt nicht allzu lange, denn Pietro Frua verließ
schon bald wieder den Betrieb. Es war ein Abgang, der vor Gericht endete.
Bekanntestes Produkt
dieser Ghia/Frua Zusammenarbeit ist das Volvo P1800 Coupe.
Diesmal übernahmen
mit Coggiola und Sartorelli zwei Mitarbeiter die Führung, der erste
war für die Prototypen Entwicklung verantwortlich, der zweite für
das Styling. 1959 ergänze ein junger Architekt aus den USA das Team,
Tom Tjaarda. Er entwarf den Selene I, das Fahrzeug wurde später zur
Universität Moskau verschickt und sollte dort für Taxi-Studien
Verwendung finden.
Nach Entwürfen
von Exner baute man einen Plymouth Sportwagen: Den XNR (‚Exner’ ausgesprochen!).
Für den Schriftsteller
Georges Simenon wurde ein Chrysler Falcon umgebaut.
1960 beteiligte sich
Ghia an der Firmen-Neugründung OSI, im Jahr darauf trat Tjaarda wegen
Meinungsverschiedenheiten mit dem Sohn des Chrysler Designer Virgil Exner
zurück.
Auf der IAA 1961
Auf dem Messestand der Fa. Karmann das neue große Coupé und
auch ein Cabriolet zu vorgestellt, die beide vom Publikum sowie der Fachpresse
positiv aufgenommen wurden. Während die Coupés ab September
1962 ausgeliefert wurden, ging das wunderschöne Cabriolet leider nie
in Serie. Entworfen wurde der Typ 34 wieder bei Ghia in Turin, die schon
1960 einen ersten Prototypen nach Osnabrück lieferten. Mit den Doppelscheinwerfern
und der eckigen Linienführung sowie der markanten Front wirkte der
Wagen deutlich moderner und erwachsener als der kleine Bruder.
1962 stellte man
das FIAT 2300 Coupé vor. Im folgenden Jahr verstarb Segre und Sartorelli
trat zurück. Auch eine Spider- und eine „Club“ Fließheck Version
des FIAT 2300 wurden präsentiert, es blieb aber jeweils bei Einzelstücken.
Nach dem Tod von
Segre gab es keinen Nachfolger, seine Söhne waren viel zu jung. Seine
Witwe ernannte Giacomo Gasparado Moro, aber ohne Segre’s persönliche
Beziehungen wandten sich viele Kunden rasch ab. Gino Rovere, kein Unbekannter
in der italienischen Automobilszene, wurde überredet um den Vorsitz
zu übernehmen, währen die Segre Familie den Hauptteil ihrer Anteile
an Raphael Trujillo, den Sohn des Dominikanischen Diktators, veräußerte.
Unglücklicherweise verstarb ein Jahr später auch Rovere und Trujillo
zeigte nur wenig Interesse an Ghia.
Das erfolgreiche
Coupé auf FIAT 1500 Basis lief aus, die Aufträge von Chrysler
blieben gingen zurück, nur der wirtschaftlich erfolgreiche Chrysler
Ghia G450S hielt die Firma über Wasser. In dieser schwierigen Zeit
nutzten auch die nun selbständigen Exners die Ghia Einrichtungen.
Sie bauten 1965 den für lange Zeit letzten Bugatti.
1965 akquirierte Ghia
mit De Tomaso einen neuen und wichtigen Kunden. Sein erster Straßenwagen,
der Vallelunga, wurde von zwar Fissore entworfen und gebaut, aber später
trennte sich De Tomaso von Fissore und übergab den Aufträge an
Ghia.
Corrgiola
trat noch im selben Jahr zurück, somit übernahm Sapino die Designverantwortung.
Das war aber nur eine kurze Zwischenlösung, denn noch im gleichen
Jahr wurde Giorgetto Giugiaro als Design-Chef eingestellt. Sein Einfluss
zeigte sich schon auf dem Turiner Salon 1966 mit dem De Tomaso Mangusta
und Pampero, dem Maserati Ghibli und dem FIAT Vanessa.
1967
übernahm De Tomaso Ghia; Giugiaro trat ab, blieb der Firma aber noch
zwei Jahre als Berater erhalten. Mit dem Abgang Guigiaros kehrte Tom Tjaarda
1969 zurück. Vignale wurde von Ghia übernommen und im Jahr daruf
übernahm Ford 84% der Firmenanteile.
Relativ
unbekannt blieben die Lancia Marica und Serenissima Entwürfe aus dem
Jahr 1971.
1973
erwarb Ford auch die restlichen Anteile – De Tomaso widmete sich fortan
seinem Neuerwerb Maserati.
Ghia
wurde nun zu einer luxuriösen Ausstattungsvariante im Ford Modell-Programm
degradiert und durfte fortan nur noch Konzeptstudien und Prototypen bauen.
Nur wenige der oft spektakulären Entwürfe schafften es bis in
die Serienfertigung:
-
aus dem Via wurde der Probe II
-
der RS200 wurde bei Reliant gebaut
-
der Airoso mutierte zum Ford Puma
-
Der StreetKa durfte zwar seinen Namen behalten,
läuft aber nun mit Pininfarina Emblem in Turin vom Band
Leider
ließ
Ford im Juni 2002 einen Grossteil der Prototypen versteigern, alle
Aktivitäten bei Ghia wurden im August 2002 eingestellt. Die
Erlöse
von Christie’s konnten sich sehen lassen:
-
Ghia Focus: $1.107.500
-
Aston Martin Ghia Vignale: $403.500
-
Ghia Selene II: $88.125
tm