Thunderbird
Modelljahr
1955
Das Verdienst, den Thunderbird aus
der
Taufe gehoben zu haben, schreiben Historiker vor allem zwei
Männern
zu: Lewis D. Crusoe und George Walker. Beide hatten sich dem Automobil
und seiner kontinuierlichen Entwicklung und Verfeinerung verschrieben,
und beide galten in Fachkreisen anerkanntermaßen als
„Genies" auf
ihrem Gebiet.
Crusoe, ein
Millionär, den Henry
Ford II aus seinem Dasein als Ruheständler zurück ins
Berufsleben
gelockt hatte, war ein Geschäftsmann mit dem richtigen
„Händchen"
für den Automobilmarkt. In seiner Funktion als Vice President
bei
Ford und General Manager einer Ford-Division, war er für den
Ausbau
dieser damals noch jungen Ford Division zuständig. Er sollte
ihr ein
Auto verschaffen, das Esprit versprühte - ein Auto, das dem
Namen
Ford zusätzliches Prestige verschaffen würde.
Walker, der später
zu einem Vice
President bei Ford und Chefstylisten wurde, wird von seinen
Zeitgenossen
als Stylist beschrieben, „in dessen Herz die Seele
eines Künstlers
brennt".
Es war im Oktober 1951. Die Gedanken
auf
ihre Aufgabe gerichtet, wanderten die beiden Männer durch die
Gänge
des Grand Palais, als Crusoe auf eines der dort ausgestellten
sportlicheren
Autos zeigte und Walker fragte: „Warum
können wir nicht auch so
etwas wie das da haben?"
„Genau so
etwas haben wir gerade in
Arbeit", war Walkers spontane Reaktion auf Crusoes Frage. Und
so war
es dann auch - das heißt, nachdem Walker sich dazu bequemt
hatte,
ein Telefon aufzusuchen, um seine Assistenten in Dearborn anzurufen.
Als
Crusoe in die Vereinigten Staaten zurückkehrte, war
„genau so etwas"
in Arbeit.
In den darauffolgenden
Monaten war oft
die Rede von einem „echten Ford Sportwagen". Man traf einige
Vorbereitungen.
In den Ateliers der Designer nahmen „Sportwagen auf Papier"
langsam Form
an. Alle Mitarbeiter hatten die Anweisung, mit der Arbeit an einem
komplett
neuen Ford für das Modelljahr 1955 zu beginnen.
Das ursprüngliche Konzept
sah einen
Zweisitzer mit Stoffverdeck vor. Zu den Vorgaben der Konstrukteure
gehörte
u.a. ein Gewicht von 1.300 kg, einen V8-Motor,
gleichmäßige
Gewichtsverteilung, bessere Beschleunigungswerte als die des
Wettbewerbs
und eine Spitzengeschwindigkeit von über 160 km/h.
Da die Zeit zur Anfertigung
Maßstab
getreuer Modelle nicht ausreichte, bestanden die ersten
Design-Vorschläge
aus mit Spritzpistolen zu Papier gebrachten Vollprofil-Darstellungen
fünf
verschiedener Fahrzeuge, die sodann ausgeschnitten und montiert wurden,
so dass man sie wie Fahrzeuge auf der Straße betrachten
konnte. Diese
Methode war zwar unüblich, erfüllte aber dennoch
ihren Zweck.
Zwar führte keiner der Vorschläge unmittelbar zum
endgültigen
Fahrzeug, aber jeder lieferte Ideen für das Tonmodell in
Originalgröße,
das bereits erste Formen annahm.
Während der Tonmodell Entwicklung wurden weitere Entscheidungen getroffen:
- Die Gestaltung des
Kühlergrills sollte
den für Ford typischen, gebogenen Verlauf der oberen Linie mit
einem
Ferrari nachempfundenen Wabengrill verbinden.
- Aus der Notwendigkeit, eine
Wölbung
zur Aufnahme des Luftfilters zu verdecken, entstand eine schmucke
Lufthutze
für die Haube.
- Scheinwerferringe und Rückleuchten sollten unverändert von einer Ford Limousine übernommen werden.
- "Kugelförmige"
Aussparungen am Ende
der Stoßfänger nahmen den Zwillingsauspuff auf,
damals der neueste
Schrei und folglich ein Muss für den neuen Ford.
Am 18. Mai 1953 sah Crusoe zum ersten
Mal
ein komplett lackiertes Tonmodell. Es entsprach bereits wesentlich der
Form des ersten Thunderbird-Serienfahrzeugs.
Die Entscheidung fiel im
September 1953,
als Crusoe - der sich in Paris aufhielt, um sich Sportwagen anzuschauen
und sie mit den Tonmodellen in Dearborn zu vergleichen - zu dem Schluss
kam, der Ford sei in Ordnung.
Obwohl die Serienproduktion
erst im Herbst
1954 anlaufen sollte, und damit das neue Auto zu einem Modell des
Jahres
1955 machte, konnte Ford es kaum erwarten, der Welt davon zu berichten.
Es fehlte nur noch ein kleines Detail - der Name des Wagens.
Man erzählt sich,
daß 5.000
verschiedene Namen geprüft wurden. Hep Cat, Beaver und
Detroiter gehörten
zu den - wenngleich wenig vornehmen - Favoriten der ersten Stunde.
Ebenfalls
vorgeschlagen wurden Runabout, Arcturus, Savile, El Tigre und Coronado.
Crusoe war von den Vorschlägen nicht sehr beeindruckt und
lobte für
jeden besseren Vorschlag eine Prämie von $250 aus.
Ein junger Ford-Stylist,
Alden „Gib" Giberson
übergab seinem Chef eine Liste mit Namen, auf der sich auch
einer
befand, der schnell Zustimmung fand und letztendlich berühmt
wurde
- Thunderbird. Giberson war dieser Name eingefallen, da er einmal im
Südwesten
gelebt hatte, wo die Legende des Thunderbird noch immer lebendig war.
Der Name Thunderbird stammt
aus den Wüsten
Arizonas und Neu-Mexikos, wo nach einer Legende der Ureinwohner der
Thunderbird
- zu Deutsch Donnervogel - als göttlicher Helfer den Menschen
zur
Seite stand. Die Ausschläge seiner großen,
für Menschen
unsichtbaren Schwingen erzeugten Wind und Donner und gaben den
Wüstenbewohnern
das lebensnotwendige Wasser in der erbarmungslosen Wildnis, in die sie
das Schicksal verschlagen hatte.
Chefstylist Frank Hersey, der
ebenfalls
aus dem Südwesten stammte und seiner Heimat sehr verbunden
war, entdeckte
den Namen auf Gibersons Liste und wählte ihn für das
neue Auto
aus. Aber als es soweit war, dass Giberson seinen Preis einheimsen
konnte,
verzichtete der bescheidene junge Designer auf einen Anzug, der einem
heutigen
Wert von 800 bis 1.000 Dollar entsprach und begnügte sich
stattdessen
mit einem Anzug für 95 Dollar mit einer zusätzlichen
Hose von
Saks Fifth Avenue.
Nachdem der Name nun unter Dach und
Fach
war und ein paar letzte Veränderungen vorgenommen wurden, war
der
Ford Thunderbird bereit für seinen Marktauftritt:
Das öffentliche
Debut fand am 20.
Februar 1954 bei der ersten Detroiter Automobilausstellung der
Nachkriegszeit
statt.
Der erste 55er Thunderbird
rollte am 9.
September 1954 im Ford-Montagewerk in Dearborn vom Band.
Der Verkauf begann am 22.
Oktober 1954
- und mit ihm eine Legende, die mit jeder Generation von
Thunderbird-Modellen
noch stärker wurde.
Der ursprüngliche
Thunderbird war
ein rassiger Zweisitzer mit einer sauberen, schnittigen
Linienführung
auf einem 102 Zoll langen Radstand. Die Gesamtlänge betrug
175,3 Zoll,
die Höhe gerade mal 54,2 Zoll und die Breite 70,3 Zoll. Als
Leergewicht
brachte der Thunderbird 3.180 Pfund auf die Waage.
Im Preis von 2.695 Dollar
für das
Basismodell war ein abnehmbares Hardtop-Verdeck inbegriffen, nicht aber
das Stoffverdeck. Ebenfalls zur Serienausstattung gehörten Uhr,
Drehzahlmesser, elektrisch verstellbare Sitze und der 292 ci "Y-block"
V8-Motor. Praktisch rollte jedoch keines der
frühen
Thunderbird-Modelle vom Gelände des Händlers ohne
Overdrive,
Automatik-Getriebe und einem Großteil der angebotenen
Servo-Optionen.
Die Preise für die 55er Modelle bewegten sich so zwischen 3.000
und 4.000
Dollar.
Der 55er Thunderbird war eher ein
persönlich
gestaltetes Fahrzeugkonzept als ein Sportwagen. Dies beruhte auf einer
Entscheidung, die Crusoe im Winter 1953-54 getroffen hatte. Die
Verfolgung
der luxuriöseren Richtung schuf die Grundlage für das
Oberklasse-
bzw. Luxussegment auf dem Fahrzeugmarkt, in dem der Thunderbird
über
Jahrzehnte hinweg die unangefochtene Führerschaft einnehmen
sollte.
Der Thunderbird war von
Anfang an ein
Volltreffer. Käufer aller Altersgruppen und gesellschaftlichen
Schichten
beschrieben das Auto als „wunderbar", als
„Meisterstück", als „fortschrittliches
Fahrzeug" und „als Auto, das motiviert, sportlich zu fahren
ist und Spaß
macht". Ein europäischer Fan bat gar seinen
amerikanischen Verwandten,
den 1955er Thunderbird für ihn zu kaufen und nach Europa zu
verschiffen.
Walt Woron, Chefredakteur des Magazins Motor Trend verkündete lauthals, dass „obwohl die Ford Motor Company es als Erste bestreiten würde, hat sie mit dem Thunderbird einen Sportwagen, und es ist ein guter dazu...Je öfter ich ihn fahre, desto mehr gefällt er mir," sprudelte es aus Woron heraus, der die Gestaltung der Instrumentafel ebenso pries wie die gute Straßenlage des Autos. Was Woron besonders beeindruckte, war die Art und Weise, wie sich der Thunderbird benahm: sicher und ohne Überraschungen, genau so wie die Konstrukteure es ihm aufgegeben hatten. Ferner schrieb Woron: „Man kann jede beliebige Kurve um 10 bis 15 Meilen pro Stunde schneller nehmen als mit dem 55er Ford".
Auch beim Publikum schlug der Thunderbird voll ein. Zehn Tage nach Verkaufsstart lagen bereits 3.500 Bestellungen vor. Dabei belief sich die Fertigungsplanung des gesamten Modelljahres auf gerade mal 10.000 Einheiten. Ford hatte sich mit dem einzigartigen Konzept auf unbekanntes Terrain gewagt und einen Volltreffer gelandet.
Trotz seiner Popularität war
der Höhenflug
des Thunderbird-Zweisitzers nur von kurzer Dauer. Unmittelbar nach
seiner
Einführung wurden bereits die ersten Änderungen
vorgenommen.
Das ursprüngliche Design hatte einige Probleme aufgeworfen:
Das Cockpit
brauchte eine bessere Entlüftung. Die Sicht schräg
nach hinten
musste ebenfalls verbessert werden und außerdem war ein
größerer
Kofferraum erforderlich.
Diese Mängel wurden
bei den 56er Modellen behoben. Die
Belüftung wurde
durch an der Seite eingebrachte bewegliche Klappen verbessert,
Bullaugenfenster
sorgten für bessere Sicht nach hinten, und nachdem man nun den
Ersatzreifen hinter dem Kofferraum montierte, gab es auch mehr Platz
fürs Gepäck.
Zur Serienausstattung kamen nun auch noch ein konkaves
Sicherheitslenkrad
und Sicherheitsverriegelungen der Türen hinzu.
Sicherheitsgurte, ein gepolstertes und energieabsorbierendes Armaturenbrett sowie ein
Spiegel
aus Verbundglas waren auf Wunsch ebenfalls erhältlich. Weitere Verbesserungen, die noch in
letzter
Minute vorgenommen wurden, zum Beispiel der zusätzlich
angebotene
312 ci V-8-Motor, sorgten bei diesem zweiten Serienmodell für
noch
besseres Handling und höhere Leistung.
Der 57er Thunderbird war als erstes Fahrzeug mit einer vollflächig gepolsterten Instrumentenanlage ausgestattet. Außerdem gab es als Zusatzausstattung elektrisch verstellbare Dial-O-Matic-Sitze und ein Radio, das die Lautstärke automatisch der Motordrehzahl anpasste. Nachdem es bei der Produktion der 58er Modelle zu Verzögerungen gekommen war, lief die Fertigung des 57er Thunderbird noch weitere drei Monate. Der letzte Zweisitzer rollte am 13. Dezember 1957 vom Band. Der sicherste Beweis, welchen Eindruck der Thunderbird-Zweisitzer in der Welt der Automobilisten hinterlassen hatte, wurde schon knapp vier Jahre nach Fertigung des letzten Fahrzeugs geliefert, als Dave Garroway, Moderator der TV-Show „Today", den Thunderbird einen „amerikanischen Klassiker" nannte. Eine solche Würdigung erfährt ein Fahrzeug normalerweise frühestens nach einigen Jahrzehnten.
In der Geschichte des Automobils hat
selten
ein Hersteller einen ähnlichen Erfolg erzielen können
wie Ford mit dem Thunderbird. Er hatte Amerika
und der
Welt ein schmuckes Auto an die Hand gegeben, das durch und durch
amerikanisch
war - ein praktischer und bequemer Wagen für den Alltag und
zum Verreisen
und ein Auto, das bei aller Eleganz auch ein Unikat war,
indem
es Sportlichkeit mit ausgezeichneter Leistung und einem faszinierenden
Stammbaum verband.
Auch in Deutschland hinterlässt der Thunderbird seine Spuren,
DKW kopiert sein Styling recht ungeniert und bringt mit dem 1000SP
ein zweitaktendes Cabriolet auf den Markt.