Ford
Karosserieschneider (Teil 17) - Salmson & Sons, Tickford
Der jüngste Verkauf der Ford Marke Aston Martin
an eine britische Investorengruppe rund um Prodrive gibt Anlaß
zu einem Rückblick auf die Beziehung zu Ford. Denn die reicht
weiter zurück, als es die erst Ende der 80er Jahre erfolgte
Übernahme vermuten läßt.
Das englische Städtchen Newport Pagnell war Jahrhunderte lang
ein Haltepunkt für Kutschen, die von London aus die Stadt
durchquerten. Es entstanden mehrere Kutschbauer, von denen
schließlich nur die Firma Salmons and Sons überlebte.
Ab 1820 ließ Joseph Salmons zu beiden Seiten der Tickford
Street ein Fabrikationsgebäude nach dem anderen errichten, um
der rasch steigenden Nachfrage Herr zu werden. Salmons erarbeitete sich
bald einen guten Ruf.
Um 1900 erobert das Automobil die Britische Insel. Und da die damaligen
Automobile eine starke Ähnlichkeit mit Kutschen aufwiesen,
rüsteten Salmons & Sons bereits 1898 das erste
englische Automobil mit einer selbstentworfenen Karosserie aus. Es war
ein Daimler 4hp Phaeton. Doch dabei blieb es nicht. In den
Köpfen der Enkel Josephs, George und Lucas Salmons, die
inzwischen auch die Firma von ihrem Vaters übernommen hatten,
regte sich nicht nur Pioniergeist, sondern auch gleichzeitig eine
gewisses Maß an Voraussicht. Als sie 1910 die erste
Automobilausstellung in Paris besuchten, beschlossen sie, auch aufgrund
der rückläufigen Nachfrage nach Kutschen, sich
stärker auf den Karosseriebau für Automobile zu
konzentrieren.
Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges war Salmons mit 350
Angestellten Newport Pagnells größter Arbeitgeber.
Während des Krieges wurden in der Tickford Street fast
ausschließlich Krankenwagen hergestellt, viele für
die Front in Rußland bestimmt.
Nach dem Krieg wurden bereits längere Zeit gehegte
Pläne zur Produktion eines komplett in Eigenregie aufgelegten
Fahrzeugs in die Tat umgesetzt. 1923 wurde dafür die Salmons
Light Car Co. gegründet, die im selben Jahr ihr erstes Modell,
den "NP" (für Newport Pagnell) der Öffentlichkeit
präsentierte. Bis 1925 wurden etwa 400 "NP" auf die
Speichenräder gestellt. Der Wagen war wegen seiner hohen
Verarbeitungsqualität jedoch relativ teuer, weshalb die Produktion bald darauf eingestellt wurde.
Salmons wurde nun zum Pionier und Spezialist auf dem Gebiet der
"All-Weather" Fahrzeugaufbauten. In den zwanziger Jahren
umfaßte das Angebot "All-Weather-Tourer", "Landaulet",
"Coupé de Ville", Cabriolet-, Coupé- und gelegentlich
auch Limousinen-Aufbauten. Mitte der 20er, als viele Karosseriebauer
Aufträge verloren und in finanzielle Schieflage gerieten,
erfand ein Salmons & Sons Mitarbeiter einen Mechanismus
für das "Tickford" genannte Kurbel-Verdeck, welches die Firma
1925 patentieren ließ. Das Neuartige an dieser
Verdeckkonstruktion war deren einfache Handhabung - ganz im Gegensatz
zu den herkömmlichen Konstruktionen dieser Tage, die sehr
schwer und teilweise äußerst kompliziert zu
Betätigen waren. Um hingegen das Tickford-Verdeck zu
betätigen, öffnete man einfach eine Klappe an der
Karosserie, steckte eine Kurbel hinein und kurbelte so lang, bis sich
das Verdeck in der gewünschten Position befand. Das
dafür entwickelte Zahnradgetriebe wurde geschickt im Bereich
unter dem Heckfenster montiert. 1926 entschloß man sich, mit
dem Verdeck-Patent ein neues Feld auf dem rasant expandierenden
Automobilmarkt zu erschließen. Salmons begann, geschlossene
Limousinen und Coupés nachträglich in offene Tourer
umzubauen und diese mit dem neuentwickelten Verdeck zu versehen. Die
Sonderanfertigungen und Umbauten verschafften der Firma sehr viel
Arbeit, was in bis zu 30 modifizierten Fahrzeugen wöchentlich
gipfelte.
1937 startete Salmons mit der Produktion von Cabriolet-Aufbauten
für MG auf VA- und SA-Chassis. Diese Modelle besaßen
nun einen federunterstützten Verdeck-Mechanismus. Damit waren
die MG-Karosserien die ersten Aufbauten, die seit vielen Jahren
erstmals ohne Tickford Mechanismus ausgeliefert wurden. 1938 stellten
inzwischen 500 Angestellte über 40 Karosserieaufbauten pro
Woche für die Hauptkunden Alvis, MG und Rover her.
Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges übernahm der vorherige
Anteilseigner und Autoliebhaber Ian Irvine Boswell Salmons &
Sons die Mehrheit des Unternehmens. 1943 verkauften die beiden
Salmons-Brüder schließlich auch ihre restlichen
Anteile, da sie die Gefahr sahen, die Deutschen könnten im
weiteren Verlauf des Krieges ihr Werk in Newport Pagnell durch
Luftangriffe zerstören. Nach der Übernahme gab
Boswell seiner Firma den Namen, der bislang nur als Bezeichnung
für die Karosserieaufbauten benutzt worden war: Tickford.
Gleich nach dem Krieg bekam Tickford die Genehmigung,
Militärfahrzeuge mit neuen Aufbauten zu versehen und sie einer
zivilen Nutzung zuzuführen. Erst mit dem Ende der staatlichen
Rohstoffrationierungen 1948 konnte man in Newport Pagnell die
Herstellung von luxuriösen und exklusiv angefertigten
Karosserien fortsetzen. Tickford schuf so Aufbauten für
namhafte Hersteller wie Alvis, Daimler, Healey, Humber und auch
Lagonda. Alle besaßen das federunterstützte Verdeck.
Aus einer für Tickford ungewöhnlichen Entwicklung
resultierte 1949 der Land-Rover Station-Wagon Aufbau. Stolze 650
Stück, überwiegend für den Export, wurden
letztendlich gebaut. Die Firma setzte die Zusammenarbeit mit Donald
Healey fort, der Prototyp des Austin-Healey 100 entstand bei Tickford.
Die jedoch einschneidenste Entwicklung für Tickford
dürfte die Entscheidung Aston Martins gewesen sein,
für die Karosserieherstellung des neuen DB2/4 Mk.II einen
anderen Karosseriebetrieb zu beauftragen. Auserkoren wurde 1954
Tickford, weil Mulliner in Birmingham zwischenzeitlich unter neuem
Management stand. Dazu war es durch das plötzlich einsetzende
Aufkaufen von unabhängigen Karosseriebetrieben durch
große Automobilhersteller gekommen. Im Winter des gleichen
Jahres beendete Aston Martin Besitzer David Brown die unsichere
Karosseriefrage schließlich damit, daß er Tickford
kurzerhand aufkaufte. Inhaber Boswell stimmte der Übernahme
zu, weil dem Unternehmen zunehmend Aufträge ausblieben, viele
Hersteller produzierten ihre Karosserien mittlerweile selbst. David
Brown hatte damit nun jedes Unternehmen, das einen wichtigen
Produktionsabschnitt bei der Herstellung seiner Sportwagen versorgte
unter seine Kontrolle und aus dem Einflußbereich fremder
Firmen gebracht. Ab sofort war die gesamte Produktion Aston Martins
unter dem Dach der David Brown Corporation vereint.
Doch 1972 mußte David Brown Tickford zusammen mit Aston Martin
Lagonda an Company Developments veräußern. Diese
wiederum gingen 1974 in Konkurs. Nach vielem Hin und Her wurde eine
neue Firma "Aston Martin Tickford" formiert.
Einer der ersten Aufträge resultierte 1981 im Austin Metro
Tickford, einer Sportversion des englischen Mini-Nachfolgers. Damals
arbeiteten über einhundert Mitarbeiter für Tickford,
die die Geschäftsbereiche Sonderfahrzeugbau,
Karosseriearbeiten und Entwicklung betreuten. Die Entwicklung wurde
1981 von A.M. Lagonda übernommen.
Die Liste der Kunden war durchaus ansehnlich: BMW; Ford (PKW, LKW und
Rallyesport), VAG, Ferrari, TVR, Mercedes, GM, Peugeot Talbot, FIAT,
Austin Rover, British Rail usw.
Parallel dazu wurden für Aston Martin Rennmotoren entwickelt,
diese Kooperation gipfelte im dritten Platz der
Langstreckenweltmeisterschaft 1983. Auch Einzelanfertigungen nach
Kundenwunsch wurden nach wie vor bearbeitet.
Für den 225 km/h schnellen Tickford Turbo Capri wurde in
Milton Keynes eigens eine zusätzliche Werkhalle gebaut.
Bedingt durch die langen Ansaugwege wies der Motor jedoch trotz 205 PS
ein erhebliches "Turbo-Loch" auf.
Nach erneuten finanziellen Schwierigkeiten 1990 konzentrierte man sich
auf die Motoren- und Fahrwerksentwicklung. Neben Niederlassungen in
Detroit und Deutschland war Tickford Vehicle Engineering Pty Ltd (TVE)
insbesondere in Australien aktiv. Dort kümmerte man sich
fortan als "Performance Partner" um die sportlichen Ford Modelle wie
Cougar, Fairlane sowie Falcon XR6, XR8 und T-Serie. Zudem wurden
Mustang Cobra ab 2000 für den australischen Markt auf
Rechtslenkung umgebaut.
In dieser Zeit wurde in England an Formel 1 Motoren gearbeitet, Die
Judd V8 Fünfventilmotoren trieben die Lotus von Nelson Piquet
und Satoro Nakajima an. Weitere Projekte in Europa waren 1988 der MG
Maestro Turbo sowie die Straßenversionen von RS200 und Sierra
Cosworth RS500. Auch das Verdeck des Jaguar XJS Cabriolets ist eine
Tickford Entwicklung und wurde anfänglich auch noch in
Bedworth montiert. Auf Basis des Vauxhall (Opel) Calibra
präsentierte Tickford eine eigene Ausstattungs-Variante,
hierbei blieb die Technik jedoch unangetastet.
1997 wurden die alten Hallen in Bedworth geschlossen. Einer der letzten
Aufträge war der nur auf der Insel angebotene Ford ST160
Racing Puma mit speziellen Kunststoffkotflügeln,
Fahrwerksänderungen, Leistungssteigerung und Schalensitzen.
500 Fahrzeuge sollen lt. Ford entstanden sein, andere Quellen sprechen
von nur 370.
2001 übernimmt Prodrive die Tickford Gruppe, aus TVE in
Australien wird 2002 "Ford Performance Vehicles" – der Name
Tickford verschwindet.
Nur die alten, unter Denkmalschutz stehenden, Gebäude in
Milton Keynes beherbergen noch die "Tickford Powertrain Test Ltd"
Prüfstände.
Ford Falcon TE50
Damit begann ein neues Kapitel in der Nutzungsgeschichte der
altehrwürdigen Hallen von Tickford, die leider mit der
Schließung und dem Teilabriß des
Aston-Martin-Stammwerkes im Sommer 2007 nach langer Tradition ein
unverdientes und trauriges Ende nimmt.
tm
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